Stiftisches Humanistisches Gymnasium Mönchengladbach

Die jüdische Volksschule in Mönchengladbach

Die jüdische Volksschule in Mönchengladbach wurde in der Zeit kurz nach dem Jahr 1870 als private einklassige Schule eingerichtet, wobei die Synagogengemeinde für die anfallenden Kosten aufgekommen ist. Zunächst fand der Unterricht, der für in Gladbach ansässige Kinder kostenlos war, in angemieteten Räumen an der Stepgesstraße statt.
Der Unterricht wurde auch von weiteren jüdischen Kindern von außerhalb besucht, in diesem Fall mussten die Eltern ein je nach Einkommens- und Klassensteuer gestaffeltes Schulgeld bezahlen. Dabei war der Besuch dieser Volksschule für jüdische Kinder und Jugendliche keine Pflicht und es fand auch an anderen höheren Schulen jüdischer Religionsunterricht statt, wie z.B. am Huma.
Bis zu dem Bau der Synagoge an der Karlstraße (heute: Blücherstraße) in den Jahren 1882/83 hatte sich die Anzahl der Klassen aufgrund eines Wachstums der Gemeinde verdoppelt. Zu der neuen Synagoge gehörten nun auch zwei Klassenräume, die von der jüdischen Volksschule aus unbekannten Gründen erst ab Ostern 1886 genutzt wurden.
Nach einem Antrag vom 10.8.1888 wurde die private Volksschule am 1.10.1888 zur öffentlichen „Israelitischen Volksschule M.Gladbach“ ernannt und die Lehrergehälter wurden somit aus dem städtischen Haushalt bezahlt.
In den folgenden Jahren konnte der Unterricht normal passieren, es gab Chanukkafeiern und Theatervorstellungen und die Schülerzahl betrug stets 50 bis 60 Schüler, wobei auch Adventistenkinder die Schule besuchten, da in dieser Glaubensgemeinschaft der Samstag geehrt wurde und nicht der Sonntag. Neben dem normalen Unterricht waren auch einige jüdische Jugendliche Mitglied in jüdischen Jugendorganisationen, wie z.B. der Makkabi-Sportbewegung beteiligt.
In dem Jahr 1932 fand schließlich eine Abstimmung zur Umgestaltung und Sicherung der Jüdischen Volksschulen in Gladbach und Rheydt unter den Eltern der Schüler statt. Es konnte gewählt werden zwischen den Vorschlägen 1.) der Einrichtung eines zweiklassigen Schulsystems in Mönchengladbach, 2.) der Aufteilung der Jahrgänge auf die beiden Schulen (die vier Grundschulklassen blieben in Gladbach, der Unterricht der vier oberen Jahren fänden in Rheydt statt) und 3.) der Einrichtung zweier einklassiger Schulen in Gladbach und Rheydt. Obwohl der zweite Vorschlag eine Mehrzahl der Stimmen erhielt, änderte sich an den Zuständen der beiden Schulen zunächst nichts. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Gladbacher Volksschule unter der Leitung Rudolf Demants, der im Jahr 1986 von der Teilnahme des im Januar 1933 stattgefundenen Siegeszug zu Ehren Hitlers Folgendes berichtete.
„Wir waren immer sehr patriotisch (oder idiotisch?). So machten wir mit allen Kindern den Siegeszug Hitlers im Januar 1933 durch die Stadt mit, mit allen christlichen Kindern und Lehrern. Ebenso hatten wir ein Bild des Führers im Klassenzimmer hängen.“
Der Beginn der Diktatur hatte zunächst abgesehen von einer bestimmten Isolation der Volksschule, keine größeren Auswirkungen auf den Unterricht, der ohne Einschränkungen weiter erfolgen konnte. Wie auch zuvor fand neben dem Elementarunterricht für die jüdischen Schüler weiter der Religionsunterricht statt, auf dessen Inhalt Rudolf Demants 1986 ebenfalls näher einging:
„Der Lehrplan für Religionsunterricht sah nicht die hebräische Sprache vor. In Deutschland kam es für jüdische Kinder nur darauf an, das Lesen der hebräischen Schrift und ganz wenige Segenssprüche zu lesen; ebenso kleine Gebete im Lesen der hebräischen Schrift und ihre Übersetzung in die deutsche Sprache. Das war alles! Natürlich gehört aber zum Religionsunterricht die Kenntnisvermittlung der Bibel bis zur Tempelzerstörung in Jerusalem durch die Römer im Jahre 70 n. Chr. Die Gebete sind in hebräischer Schrift gedruckt und nur wenige können diese in Deutschland lesen. Man lehrte nur den kleinen Teil, den die „Konfirmanden bei der Barmizwah vortragen mussten aus der hebräischen Bibel, genannt Thora. Bei Mädchen mit 13 Jahren wird das Fest „Bass Mizwoh“ genannt,ist keine religiöse Pflicht und wurde in der Gladbacher Synagogengemeinde zu meiner Zeit nicht gefeiert.“
Neben dem Unterricht wurden ebenso weiterhin Ausflüge, wie im Sommer 1936 die Reise zum Drachenfels im Siebengebirge, veranstaltet und man war derweil noch zuversichtlich.
Doch nach den Geschehnissen der Pogromnacht im Jahr 1938 veränderte sich auch die Situation der jüdischen Volksschule deutlich. Während der Nacht vom 9. auf den 10. November wurden mit den Gottesdientsräumen der Gladbacher Synagoge auch die Klassenzimmer durch Brandstiftung zerstört, weshalb das jüdische Gemeindehaus zwangsweise an die Ludendorffstraße 54 (heute: Albertusstraße) verlegt werden musste. In dem Gebäude wurde binnen kurzem nach entsprechender polizeilicher und behördlicher Genehmigung in der ersten Etage der Unterricht mit verkleinerter Schülerzahl wieder aufgenommen. Bei dieser Unterbringung handelte es sich jedoch nur um eine Notlösung und es fehlten Pausenraum bzw. Schulhof. Auch der Unterricht selber veränderte sich. Die Lehrer Demant und Gassenheimer versuchten ihre Schüler auf eine eventuelle Emigration, die zu der Zeit für Juden noch möglich war, vorzubereiten und unterrichteten nun auch Englisch und Spanisch.
In dem Zeitraum kurz nach der Pogromnacht stieg die Anzahl der jüdischen Kinder, die die Schule besuchten, was zurückzuführen ist auf einen Erlass vom 15.11.1938, nachdem der weitere Besuch höherer Schulen für jüdische Schüler verboten wurde und diese somit auf die jüdische Volksschule wechselten. Diese Verstärkung der Schülerzahl war jedoch nur von kurzer Dauer, da einige ins Ausland emigrierten und bald ein einziger Unterrichtsraum ausreichte.
Im folgenden Jahr wurden alle jüdischen Volksschullehrer nach einer Verordnung des Reichsbürgergesetz vom 4.7.1939 in den Ruhestand versetzt, womit diese die Möglichkeit, als aktiver Staatsbeamter zu arbeiten, verloren. Obwohl diese Anordnung auch die beiden Schulleiter der jüdischen Volksschulen in Mönchengladbach und Rheydt, Rudolf Demant und Max Heymann, betraf, konnten diese ihrer Tätigkeit weiter nachgehen, nachdem die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“, die für das jüdische Schulwesen zuständig war, den beiden Schulleitern privatrechtlich die Fortführung ihrer bisherigen Funktionen übertrug. Neben dieser Änderung wurde ebenfalls den von der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ übernommenen Schulen der Status einer öffentlichen Schule entzogen. Die jüdischen Volksschulen wurden also wieder als Privatschulen angesehen und besaßen keinen Anspruch mehr auf staatliche und städtische finanzielle Unterstützung, weshalb die Reichsvereinigung der Juden für die Finanzierung aufkommen musste. Die Zahlung der Lehrergehälter erfolgte durch die jüdische Gemeinde.
Mit der Zeit wurden die Schülerzahlen so gering, dass die Gladbacher und Rheydter Volksschule 1941 zusammengelegt werden sollten. Lehrer Demant wurde nach Bielefeld versetzt und Heymann übernahm den einklassigen Unterricht mit nur noch ca. 20 Kindern in Gladbach, weshalb die Rheydter Schulkinder nun jeden Morgen zur Albertusstraße gehen mussten. Noch in demselben Jahr, am 23.10.1941, verließ der erste Deportationszug mitsamt drei Schulkindern die Stadt auf dem Weg nach Lodz.
Anfang 1942 sollte die jüdische Volksschule schließlich das letzte Mal ihren Standort wechseln. Es wurde verordnet das Gemeindehaus zur Unterbringung von bombengeschädigten jüdischen Familien zu räumen und der Unterricht wurde in dem alten Schulgebäude an der Wilhelm-Straterstraße fortgeführt. Die restlichen Gladbacher Schulkinder mussten sich von nun an jeden Morgen zu Fuß nach Rheydt aufmachen, denn die Nutzung der Straßenbahn war mittlerweile Juden verboten.
Während dieser restlichen Zeit der jüdischen Volksschule versuchte Lehrer Max Heymann Disziplin und Ordnung aufrecht zu erhalten. Beispielsweise achtete er sehr genau darauf, dass seine Schüler den seit September 1941 vorgeschriebenen Judenstern den Vorschriften entsprechend tragen, wobei Heymann als Lehrer von der Gestapo auch für Verstöße verantwortlich gemacht werden konnte.
Allmählich verkleinerte sich die Schülerzahl immer weiter, in dem Zeitraum vom 27.10.1941 bis zum 22.4.1942 wurden immerhin 16 schulpflichtige Kinder, dem Anschein nach Schüler der jüdischen Volksschule, deportiert. Mit am 2.4.1942 nur noch fünf verbliebenen Schülern wurde deutlich, dass der Unterricht mit den Osterferien enden musste. Aus dieser Situation heraus meldete sich schließlich Max Heymann am 20.4.1942 freiwillig bei der Gladbacher Gestapo-Stelle freiwillig zur nächsten Deportation. Mit dieser Erklärung war der Weg in den Tod nicht nur für Heymann und seine Frau, sondern auch für seine beiden Kinder Edith und Walter, unausweichlich.
Und obwohl Heymann einige Jahre zuvor, als die Emigration noch möglich war, ein Angebot der Familie Stern für eine erleichterte Auswanderung erhielt, lehnte er dieses ab und blieb bis zuletzt aus seinem Pflichtgefühl bei seiner Gemeinde und bei seinen Schülern.

Quellen:
Erckens, Günter:„Juden in Mönchengladbach, Band 1“, „Juden in Mönchengladbach, Band 2“
Stadtarchiv Mönchengladbach

2018-09-13T10:45:43+00:00
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